Meinung
Ampelkoalition
Entlastungen für die Wirtschaft: Ein Anfang, ein kleiner Anfang

Gruppenfoto des Bundeskabinetts auf den Stufen von Schloss Meseberg
© Sean Gallup / Getty Images
Die Entlastungen der Regierung für Unternehmen gehen in die richtige Richtung. Doch für einen echten Durchbruch, der der Wirtschaft nützt, müsste ausgerechnet die FDP eine Selbstblockade überwinden.
Man muss in diesen Tagen ja aufpassen, wer alles für sich eine Chance zum Neuanfang einfordert und wem man diese auch tatsächlich zubilligen möchte: der Ampel-Regierung etwa, nach chaotischen Regierungswochen, gepflastert mit an Hybris grenzenden Fehleinschätzungen; oder einem bayerischen Wirtschaftsminister nach dem Bekanntwerden übelster Entgleisungen, die einen – ja, selbst wenn sie aus der Schulzeit stammen – auch mehr als 30 Jahre danach fassungslos machen (und bei denen das eigentliche Problem möglicherweise auch eher im Umgang damit hier und heute liegt).
Aber generell gilt: Eine Chance zur Besserung gibt es und sie ist umso dringlicher erwünscht, je größer die akuten Probleme sind. So muss man wohl die Ergebnisse der Kabinettsklausur diese Woche im brandenburgischen Meseberg einordnen. Es war nicht alles uneingeschränkt gut, was in und um Meseberg herum beschlossen wurde, aber einiges weist zumindest in die richtige Richtung. Was ja auch schon mal was ist, wenn man sich an die quälend langen Wochen vor der Sommerpause erinnert, in denen der Ampelkoalition erkennbar jegliche Orientierung abhandengekommen war.
Hoffnung stiftet vor allem das Entlastungspaket für Unternehmen, das das Kabinett relativ kurzfristig zusammengeschustert hat: für einige Branchen weniger Bürokratie und weniger Papierkram, vor allem aber bessere Abschreibungsregeln für Betriebe, die neue Maschinen anschaffen, außerdem eine Prämie für größere Investitionen, neue Abschreibungsmöglichkeiten im Wohnungsbau und großzügigere Regeln für die Verlustverrechnung. So wollen SPD, FDP und Grüne Unternehmen um rund 7 Mrd. Euro pro Jahr entlasten.
Zwölf Prozent mehr beim Bürgergeld – das irritiert
Irritierend war diese Woche allerdings ein anderer Beschluss der Regierung, der nach all dem schwer erträglichen Gezerre um ein paar kleine Entlastungen für eine schwer unter Druck stehende Wirtschaft gleichsam durchgewunken wurde: Zwölf Prozent mehr beim Bürgergeld, früher Hartz IV genannt, ab dem 1. Januar 2024, macht statt heute 502 Euro pro Monat und Erwachsenen ab dem Jahreswechsel 563 Euro. Satte 4,3 Mrd. Euro Mehrausgaben ab dem kommenden Jahr, zusätzlich zu den hart umkämpften 2,4 Mrd. Euro für die neue Kindergrundsicherung, die sich an den gleichen Empfängerkreis richtet.
Sicher muss es auch bei den staatlichen Transfers für Bedürftige Anpassungen an die Inflation geben. Aber mal eben so zwölf Prozent mehr – ohne jedes Innehalten und eine Diskussion, ob das in die Zeit passt und die richtigen Prioritäten setzt –, das irritiert. Denn es wirft gleich zwei Fragen auf: Erstens, wo liegt in den kommenden zwei Jahren für die Ampelkoalition die richtige Balance zwischen Strukturreformen und der geübten Verteilungspolitik aus den letzten Jahren, als erst die Kassen noch voll und dann in der Pandemie die Not besonders groß waren? Und zweitens, was sind bis zum Ende des Jahrzehnts eigentlich die drängendsten Probleme und mit welchen Instrumenten gehen wir sie an?
Der Automatismus, mit dem einerseits Milliarden ausgegeben werden für Langzeitarbeitslose und Menschen mit geringen Einkommen – und auf der anderen Seite mit Ach und Krach gute 500 Mio. Euro für Extra-Abschreibungen, um den kollabierten und dringend nötigen Wohnungsbau wiederzubeleben: Das passt in einer Lage, in der die Wirtschaft nicht mehr wächst und es auch in absehbarer Zeit schwer haben wird, nicht zusammen.
Die Ursachen für das aktuell schwache bis nicht-existente Wirtschaftswachstum in Deutschland lassen sich grob in zwei Kategorien unterteilen. Da sind zum einen kurzfristige Gründe, die vor allem auf die Weltkonjunktur und die schwache Nachfrage hier und im Ausland zurückgehen. Die Krise in China etwa werden wir kaum ändern können, da müssen wir durch, aber das bekommen wir hin. Und dann sind da mittel- bis langfristige Gründe, die viel mit Strukturen und mit Psychologie hierzulande zu tun haben: im internationalen Vergleich hohe Energiekosten, die in den kommenden Jahren kaum zurückgehen werden, gepaart mit einer allgemeinen Verunsicherung über die Investitionsbedingungen in Deutschland und die generellen Wachstumsaussichten in einer Gesellschaft, die immer älter wird.
Gesetzgebung à la Ampel
Die Regeln sind klar. Doch warum einfach, wenn man es sich auch schwer machen kann?
Die FDP hat sich Fesseln angelegt
In dieser Lage braucht das Land kein großes Konjunkturprogramm, das die Nachfrage staatlich ankurbelt, keine neuen Abwrackprämien. Aber es braucht einen klugen Mix aus Maßnahmen, die die Arbeits- und Angebotsbedingungen für hiesige Unternehmen verbessern und private Investitionen in die Erneuerung des Maschinenparks und der Energieinfrastruktur belohnen. Im Grunde ist das eine Steilvorlage für jede Partei, die Wirtschaftspolitik und Unternehmensinteressen ganz oben auf die eigene Agenda setzt.
Und hier offenbart sich eine Schwäche der jüngsten Ampel-Beschlüsse: Ausgerechnet die FDP, die diese Politik nun vorantreiben müsste, beschneidet sich selbst in ihren Möglichkeiten, weil Parteichef Christian Lindner, zugleich Finanzminister, mit großer Strenge auf die Einhaltung der Schuldenbremse im Grundgesetz pocht. Er tut dies, weil er noch höhere staatliche Ausgaben verhindern will – was richtig ist. Aber er blockiert so auch, was aktuell dringend notwendig wäre: größere Entlastungen für Unternehmen in der Breite, durch wirklich großzügige Abschreibungsregelungen für Investitionen und durch niedrigere Energiepreise.
Angesichts der Strukturprobleme, vor denen Deutschland in den kommenden Jahren steht, wären nicht 7 Mrd. Euro an Entlastungen notwendig gewesen, sondern das Doppelte oder Dreifache. Meseberg war weder Wende noch Durchbruch, sondern bestenfalls ein Anfang. Aber immerhin, es war die Chance für einen Neuanfang.
Dieser Meinungsbeitrag erschien zuerst bei unseren Kollegen von CAPITAL.
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