Worum geht es?
Auseinandersetzungen um die Region Nagornyj Karabach im Südkaukasus gibt es seit Langem. In der Sowjetunion gehörte die Region zur Aserbaidschanischen Sowjetrepublik. Doch dort lebte eine armenische Bevölkerungsmehrheit. Im Zuge ethnischer Konflikte auch andernorts eskalierten sie zum Krieg, der Anfang der Neunzigerjahre Zehntausende Todesopfer forderte. Ein erstes Waffenstillstandsabkommen von 1994 konnte nicht in ein Friedensabkommen überführt werden. Es handelte sich seither um einen sogenannten eingefrorenen, aber immer wieder aufflammenden Konflikt.
Was ist jetzt passiert?
Aserbaidschan hat nach Wochen zunehmender Spannungen eine militärische Offensive mit Angriffen gegen Nagornyj Karabach gestartet. Das Verteidigungsministerium in Baku teilte am Dienstag mit, es handele sich um einen Einsatz gegen „Terroristen“. Ziel sei es, „die Entwaffnung und den Abzug von Formationen der armenischen Streitkräfte aus unseren Territorien sicherzustellen und ihre militärische Infrastruktur zu neutralisieren“. Hochpräzisionswaffen würden nur gegen legitime militärische Ziele eingesetzt und nicht gegen Zivilisten. Der Bevölkerung stehe es frei, die Region über „humanitäre Korridore“ zu verlassen. Der armenische Ministerpräsident Nikol Paschinjan erklärte in einer Fernsehansprache, Aserbaidschans Ziel sei es, „ethnische Säuberung“ gegen die armenische Bevölkerung in der Region zu betreiben. Armenien rief russische Friedenstruppen zur Hilfe. Die Europäische Union forderte den Stopp der Kampfhandlungen und erklärte sich zur Vermittlung in dem Konflikt bereit.
Wie lang liegt die letzte Eskalation zurück?
2020 versuchte Aserbeidschan zuletzt, das Gebiet sowie weitere von Armenien besetzte Gebiete zurückzuerobern. Insgesamt mehr als 7000 Soldaten kamen bei dem gut sechswöchigen Krieg ums Leben. Mit Unterstützung Russlands wurde im November 2020 ein zweites Waffenstillstandsabkommen geschlossen. Es schrieb aserbaidschanische Eroberungen fest und setzte armenische Abzüge aus weiteren Gebieten durch. Russische Friedenstruppen überwachen seither die Kontaktlinie zwischen den Konfliktparteien sowie den Latschin-Korridor, die einzige Versorgungsroute zwischen Nagornyj Karabach und der Republik Armenien. Die Waffenruhe ist brüchig, immer wieder kam es zu bewaffneten Auseinandersetzungen. Auch in diesem Jahr gab es bereits Todesfälle durch Schusswechsel an der Grenze.
Zu welchem Staat gehört die Region völkerrechtlich?
In Nagornyj Karabach leben überwiegend Armenier. 1991 erklärten sie sich von Aserbaidschan unabhängig. International wurde das nie anerkannt, Organisationen wie EU und UN betrachten das Gebiet als zu Aserbaidschan gehörig, kein Staat der Welt hat die „Republik Arzach“, so der armenische Name für Nagornyj Karabach, als unabhängig anerkannt – nicht einmal die Republik Armenien. Aserbaidschans Machthaber Ilham Alijew hat die Karabach-Armenier aufgefordert, als Minderheit in seinem Land zu leben, und lehnt einen besonderen Status für die Bevölkerung Karabachs ab.
Wieso hatte sich die humanitäre Lage zuletzt so verschlechtert?
Seit dem vergangenen Dezember blockiert Aserbaidschan den Latschin-Korridor. Weil keine Lebensmittel und Produkte des täglichen Bedarfs mehr in die Region gelangten, wurde die Lage der Bevölkerung immer prekärer. Im Juni verschärfte Baku die Blockade weiter, nicht einmal russische Hilfsgüter und Transporte des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz (IKRK) wurden mehr durchgelassen. Zuletzt hatten die Karabach-Armenier aber einer Lieferung von Hilfsgütern über die – nach einem zerstörten Ort dort benannte – Agdam-Route aus dem aserbaidschanischen Kernland zugestimmt, über die am Dienstag voriger Woche eine russische Hilfslieferung nach Stepanakert gelangte. Am vergangenen Sonntag einigten sich die Führung der Karabach-Armenier und Baku über „simultane“ Hilfslieferungen von Russland und dem Internationalen Komitee beim Roten Kreuz über diese Agdam-Route sowie über den Latschin-Korridor. Am Montag erreichte eine Hilfslieferung des IKRK die Region.
Wieso hat Aserbeidschan den Konflikt jetzt wieder eskaliert?
In den vergangenen Tagen hatte es laut Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) intensive Gespräche der EU und USA mit Armenien und Aserbaidschan gegeben. Baku habe zugesagt, von militärischen Maßnahmen abzusehen. Diese Zusage sei nun gebrochen worden. Für Beobachter kommt das nicht überraschend, denn der Zeitpunkt ist günstig für Aserbaidschan. Die Aufmerksamkeit der Welt ist auf die Ukraine gerichtet und auch die Kräfte Russlands, das einst als Schutzmacht Armeniens galt, sind dort gebunden. Jüngst hat der armenische Ministerpräsident Nikol Paschinjan beklagt, mit Russland nur auf einen „strategischen Partner“ gesetzt zu haben. Dieser Faktor ist einer von vielen, die zu Moskauer Verstimmung über Eriwan geführt haben. Ein weiterer ist Armeniens Vorhaben, das Römische Statut des Internationalen Strafgerichtshofs zu ratifizieren. Denn das Gericht hat einen Haftbefehl gegen Präsident Wladimir Putin erlassen.
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