Es gibt Ideen, die sind großartig, charmant, sogar kühn. Und dennoch – oder gerade deswegen – tot. So eine Idee könnte die für einen neuen Ort für die Zentral- und Landesbibliothek (ZLB) sein.
Berlins Kultursenator Joe Chialo (CDU) hat dafür das Quartier 207 an der Friedrichstraße vorgeschlagen. Bisheriger Hauptmieter ist das Kaufhaus „Galeries Lafayette“. Seit Jahren wird über einen möglichen, bevorstehenden, was auch immer, Auszug der Franzosen aus der totsanierten Straße gesprochen. Nun solle der Auszug bereits nächstes Jahr erfolgen. Die Reaktionen der Berliner Politik auf den Deal: distanziert bis ablehnend.
Für Chialo wäre der Auszug des Kaufhauses an exponierter Stelle eine riesige Chance. Der Ort biete nicht nur „ideale Bedingungen für eine zeitgemäße Bibliothek in einer Millionenmetropole und das mitten im Herzen der Stadt“, so der Senator, der Umbau wäre auch „ein „starkes Zeichen des Aufbruchs“ für Berlin.
Das war am Montag. Jetzt, wenige Tage später, spricht nur noch wenig dafür, dass die lange Suche nach einem Standort für die ZLB im Quartier 207 endet. Und das hat nicht nur – aber auch – mit Chialos Vorgehen zu tun. Der politische Quereinsteger hatte die Idee am Montag im Kulturausschuss des Abgeordnetenhauses unabgesprochen präsentiert. Das war wohl nur die zweitbeste Idee.

Das Quartier 207 an der Friedrichstraße in Mitte. Hier könnte bald die Zentral- und Landesbibliothek einziehen.Volkmar Otto
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Beim Koalitionspartner SPD ist man über den senatorellen Alleingang jedenfalls vergnatzt. Sie habe davon erst in der Vorbesprechung zum Ausschuss erfahren, sagt Melanie Kühnemann-Grunow, kulturpolitische Sprecherin der SPD-Fraktion. „Das gefällt mir überhaupt nicht“, sagt sie der Berliner Zeitung. Chialo habe sich und seiner Idee „keinen Gefallen getan“.
Damit steht die SPD-Frau offenbar nicht allein. Wirklich schlimm für die Befürworter ist jedoch, dass statt konkreter Umbaupläne allerlei Zahlen gespielt werden. Das ist gefährlich, schließlich verschlechtert jede öffentlich diskutierte Zahl die Verhandlungsposition des Senats. Und das hängt auch mit dem Verhandlungspartner zusammen.
Das Quartier 207 gehört dem Investmentfonds Tishman Speyer, einem Player aus dem Hochpreissegment. Dieser hat das Gebäude mit seinem charakteristischen Glastrichter im Inneren für eine nicht genannte Summe vom Versicherungskonzern Allianz übernommen. Ein paar Jahre zuvor hatte die Allianz 125 Millionen Euro dafür bezahlt.
Nun ruft Tishman Speyer stolze 590 Millionen Euro auf, zu bezahlen von Berlins Steuerzahlern. Hinzu käme eine dreistellige Millionen-Summe für den Umbau zu einer Bibliothek. Das wären zusammen mindestens 700 Millionen Euro.
Variante zwei wäre demnach ein sogenannter Mietkauf. Das Land Berlin würde 30 bis 40 Jahre lang Miete zahlen und könnte das Haus danach übernehmen. Nicht nur Haushaltspolitiker wissen, dass ein Mietkauf die öffentliche Hand stets rund 50 Prozent mehr kosten würde als ein sofortiger Kauf. Das wäre knapp eine Milliarde Euro – mit dem Umbau on top.
Profitiert ein privater Fonds von der neuen Bibliothek in Mitte?
Diese beiden Varianten gelten in der Berliner Kultur- und Finanzpolitik dennoch immerhin als zumindest denkbar. Anders verhält es sich mit einem reinen Mietverhältnis. Kein verantwortlicher Politiker könne sich angesichts eines auf maximale Rendite ausgerichteten Vermieters darauf einlassen, heißt es. Allein die Aussage, Chialos Kulturverwaltung und die Stiftung Zentral- und Landesbibliothek hätten die Pläne „gemeinsam“ mit Tishman Speyer entworfen, verstärkt die Skepsis eher noch. Dazu passen Gerüchte, dass Galeries Lafayette möglicherweise nun doch nicht bereits 2024 ausziehen wolle.
Ein Neubau der ZLB am Blücherplatz in Kreuzberg wurde unlängst aus der Finanzplanung gestrichen. Jetzt heißt es in der SPD: Wenn Chialo das Quartier 207 wolle, müsse er – und mit ihm die CDU – sagen, was stattdessen wegfallen solle: der Ausbau des aus allen Nähten platzenden Krankenhauses des Maßregelvollzugs auf dem Gelände der ehemaligen Karl-Bonhoeffer Nervenklinik in Reinickendorf etwa? Oder vielleicht der Azubi-Campus auf dem Gelände des Wenckebach-Krankenhauses in Tempelhof? Oder doch die maroden TU-Gebäude, die bei jedem Unwetter volllaufen?
Als früherer Finanzsenator und von Hause aus Kulturpolitiker ist Daniel Wesener einer der kenntnisreichsten Ansprechpartner in der Causa ZLB. Und obwohl Wesener seit der Wahlwiederholung in der Opposition ist, geht er im Gespräch mit der Berliner Zeitung mit der Friedrichstraßen-Idee noch vergleichsweise freundlich ins Gericht.

Bücherregale in der Amerika-GedenkbibliothekA. Friedrichs/imago
Berliner Grünen-Politiker: „Politik braucht neue Ideen“
„Ich habe nichts gegen gute und kreative Ideen“, sagt Wesener, „Politik braucht neue Ideen“. Das Schlimmste wäre, sagt er, wenn diese Idee jetzt nicht gut vorbereitet präsentiert würde „und schon deswegen scheitert“.
Eines sei jedenfalls klar, so Wesener: Auch die zwischenzeitlich immer wieder genannten ICC oder das Flughafengebäude in Tempelhof seien „weder bibliotheksfachlich noch finanzpolitisch denkbar“. Er bleibe deshalb ein Anhänger eines Neubaus am Blücherplatz. So oder so. Wesener fährt fort: „Spätestens zum Jahresende muss der Senat sagen, wie es weitergeht.“ Die ZLB brauche eine verlässliche Perspektive.
Eine Zentralbibliothek beschäftigt Berlin seit mehr als 100 Jahren
Nun ist Zeit auch im Zusammenhang mit der Zentral- und Landesbibliothek höchst relativ. Es war der 6. Juni 1901, als die Berliner Stadtbibliothek gegründet wurde. Am 15. Oktober 1907 wurde die Zentrale für die Volksbüchereien als öffentliche Leihbibliothek in der Zimmerstraße in Berlins mittigster Mitte eröffnet. Schon ein Jahr später, im Jahr 1908, beschloss die Stadtverordnetenversammlung von Berlin einen Neubau.
Der Beginn des Ersten Weltkriegs ließ die Planungen ruhen. 1920 wurde die Berliner Stadtbibliothek in der Zimmerstraße geschlossen und der Umzug in den Alten Marstall vorbereitet. Im März 1921 wurde die Bibliothek in den Räumen eröffnet, in denen sie sich seitdem befindet: in der Breite Straße 30-36 in Mitte. Alles andere, nur kein Neubau.
Nach dem Zweiten Weltkrieg und der daraus resultierenden Teilung wurde der Standort in Mitte zum Problem: West-Berlin hatte kein Äquivalent. Das änderte sich 1954, als die USA der Frontstadt die Amerika-Gedenkbibliothek am Blücherplatz in Kreuzberg schenkte. Erklärtes Ziel war die Durchsetzung von Bildungs- und Meinungsfreiheit. Seit 1995 ist die AGB wie ihr Pendant in der Breiten Straße Bestandteil der Zentral- und Landesbibliothek (ZLB).
Kommt jetzt Wowereits Bibliothek doch noch?
Es ist nicht überliefert, wann genau die Idee entstand, dass es statt zwei Standorten besser nur einen geben sollte, einen gesamtberlinischen gewissermaßen. Es spricht einiges dafür, dass vor allem die Schließung des Flughafens Tempelhof die Fantasie, nun ja, beflügelte. Jedenfalls setzte sich der damalige Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit für einen Neubau ein. Erste Entwürfe geisterten durch die interessierte Öffentlichkeit.

So hätte die ZLB auf dem Tempelhofer Feld aussehen könnenKohlmayerOberst
Nicht wenige halten diese Initiative und das damit zusammenhängende arg freihändige Agieren und Lobbyieren verantwortlicher Politiker bis heute für einen der Gründe, warum der Tempelhof-Volksentscheid im Herbst 2014 erfolgreich war. Eine Mehrheit wollte nicht nur keine ZLB auf dem weiten Feld, sondern am liebsten überhaupt nichts Neues. Daran hat sich bis heute nichts wesentlich geändert.
Ebnet ein Wettbewerb den Weg für Neubau auf dem Tempelhofer Feld?
Ein neuer Anlauf für Tempelhof auch als Bibliotheksstandort könnte mit einem internationalen Wettbewerb für das Gelände genommen werden, wie ihn Schwarz-Rot plant. Das Ergebnis dieses Wettbewerbe, bei dem es auch um die Bebauung des Randes des großen Feldes gehen soll, könnte nach Vorstellung des Senats den Berlinern erneut zur Abstimmung gestellt werden.
Wenige Monate bevor die Berliner per Volksentscheid Tempelhof auf Eis legten, wurde ein paar Kilometer westlich das ICC geschlossen. Der mit nach heutiger Rechnung mehr als einer Milliarde Euro lange Zeit teuerste Bau West-Berlins erwies sich als untauglich für Messen.
Seitdem suchen wechselnde Senate nach einer weiteren Nutzung, auch eine ZLB dort war immer mal wieder im politischen Gespräch. Nur die Bibliothekare selbst wollten nie so recht. „Ich glaube nicht, dass das ICC geeignet ist, die Besucher anzulocken“, sagte Volker Heller, Vorstand der Stiftung Zentral- und Landesbibliothek, im Jahr 2014. An dieser Haltung hat sich bis heute nichts Wesentliches geändert. Schlag’s nach bei Wesener.
Wie der Grünen-Politiker machte sich damals auch die Stiftung für einen Erweiterungsbau am Blücherplatz stark. Bis Ende 2022 mögen Zentralisierungs-Fans an dieser Idee festgehalten haben. Dann stoppte die damals mit Grünen und Linken regierende SPD die Pläne, bevor der erste Spatenstich getan war. Unter anderem aufwendige Grundwasserabsenkungen hatten die bereits absehbaren Kosten auf rund 600 Millionen Euro steigen lassen. Seitdem ist wieder alles offen.
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