Die Rekorde wackeln. Sie könnten purzeln. Zumindest was den 1. FC Union beim Spiel am Sonnabend beim VfL Wolfsburg betrifft. Es geht vornehmlich um eine oder gleich mehrere Marken, die mit einem Oldie-Status verbunden sind: Leonardo Bonucci, mit 36 Jahren und 138 Tagen ein Spieler, auf den die latent unter Klischeeverdacht stehenden Attribute Routine, Erfahrung, Abgeklärtheit ausnahmsweise mal passen, macht es möglich.
Der Italiener, der beim 0:3 zuletzt gegen RB Leipzig vorerst die Atmosphäre in Köpenick schnupperte, ist einer, der mit seiner ersten Einsatzminute in der Bundesliga das Prädikat erhält, ältester Debütant der Eisernen in Deutschlands Top-Liga zu sein. Mit einem Schlag würde er die Premieren-Oldies anführen und die Reihe, die am 18. August 2019 mit Christopher Trimmel (damals 32 Jahre und 175 Tage) begann und die von Michael Parensen am 19. Oktober 2019 (33 Jahre und 117 Tage) fortgesetzt wurde, regelrecht explodieren lassen.
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Bremens Trainer ist ein Jahr jünger als Bonucci
Sechsunddreißig Jahre und fünfeinhalb Monate – das ist ein Alter, in dem die meisten Fußballprofis längst in Aktivenrente sind. Keine zehn Spieler sind in den aktuellen Kaderlisten der 18 Erstligisten älter als Bonucci. Mancher Trainer ist sogar jünger als er, so Bremens Ole Werner gleich um ein Jahr. Selbst Julian Nagelsmann, wäre er noch oder irgendwo neu im Amt, käme vom Alter nicht an Unions spektakulären Sommerzugang heran.

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Mit Bonucci haben die Köpenicker tatsächlich ins für sie oberste Regal gegriffen. Vor vier Jahren schon haben sich viele Anhänger verblüfft die Augen gerieben, als sich mit Christian Gentner und Neven Subotic (der übrigens anderthalb Jahre jünger ist als der Italiener) ein ehemaliger deutscher und ein ehemaliger serbischer Nationalspieler für das Stadion An der Alten Försterei als Heimspielstätte entschieden hatten.
Ein Jahr später gab es mit Max Kruse und Robin Knoche die nächsten Kracher, wieder zwölf Monate danach schnalzten die Fans bei Rani Khedira mit der Zunge und waren entzückt, dass Taiwo Awoniyi nach seiner Ausleihe vom FC Liverpool fest verpflichtet wurde. Dass im Vorjahr mit dem Kroaten Josip Juranovic und dem Tunesier Aissa Laidouni zwei WM-Teilnehmer kamen, lief dann fast schon unter „normal“ ab, weil es da ja noch den Aufreger um Francisco Román Alarcón Suárez gab, den die Fußballwelt besser unter dem Namen Isco kennt.
Robustheit in allen Situationen zwischen den Toren
Bonucci, das klingt vorn nach Bonbon und hinten nach Gucci, dem italienischen Modeunternehmen aus Florenz, das seine Umsätze vornehmlich im Luxussegment macht – dort also, wo sich der Mann aus Viterbo in Mittelitalien sportlich sieht. Zusammen klingt es nach Bella Italia, Squadra Azzurra (in der der Abwehrstratege 121 Spiele bestritt), Europameistertitel (den er 2021 gewann), ein klein wenig Inter Mailand (ein Meistertitel), umso mehr nach Juventus Turin (mit der Alten Dame wurde er in zwölf Spielzeiten achtmal Meister und viermal Pokalsieger), nach ganz viel sportlicher Extraklasse und noch mehr Robustheit in allen Situationen zwischen den Toren.

Bonucci feiert mit seinen Teamkollegen aus der Nationalmannschaft den EM-Titel 2021.Nick Potts/imago
Wenn einer, der in seiner Heimat nahezu alles erreicht hat – nur 2006 beim WM-Triumph in Berlin von Gianluigi Buffon, Andrea Pirlo und Fabio Cannavaro war er mit 19 Jahren noch zu jung, und im Finale der Champions League 2015 war der FC Barcelona um Lionel Messi, Neymar und Andres Iniesta mit 3:1 einen Hauch besser – und eine Ikone geworden ist, auf seine alten Tage in die Fremde zieht, birgt das natürlich ein gewisses Risiko.
Guter Dinge aber sind sie in Köpenick alle, dass es mit dem Megadeal sportlich wie menschlich klappt. „Wir sind überzeugt davon, dass Leonardo mit seiner Mobilität und Flexibilität unsere Möglichkeiten in der Abwehr erweitert und das Niveau noch einmal steigern wird“, sagt Oliver Ruhnert, Geschäftsführer Profifußball Männer, über den Mann, dem sie es zutrauen, dem gesamten Team einen weiteren Schub zu geben. Genau das hat Bonucci nämlich vor und sieht seine Rolle, nachdem es bei Juve nach einigen Irritationen nicht mehr weiterging, so: „Bei Union habe ich die Möglichkeit, weiter auf höchstem Niveau zu spielen und die Mannschaft auf ihrem Weg in drei anspruchsvollen Wettbewerben mit meiner Erfahrung zu unterstützen.“
Mehr Lob hat noch keiner bekommen
Urs Fischer jedenfalls bekam leuchtende Augen. „Schon ein Training hat gereicht“, so der Fußballlehrer, „um zu sehen und zu spüren, was er ausmacht. Seine Vita, seine Aura sprechen für sich. Er ist ein knallharter Verteidiger mit einer Wahnsinnserfahrung, er kann ein Spiel lesen, er schaut voraus und er hat eine Wahnsinnsmentalität.“ Mehr Lob hat noch keiner bekommen, der noch nicht eine einzige Minute gespielt hat. Damit liegt die Latte ziemlich hoch.
Bei einem Spieler der Kategorie Bonucci gerät einer wie Lucas Tousart, zumal zehn Jahre jünger, fast ein wenig ins Hintertreffen. Irgendwie ist das ungerecht, zumal der Franzose das Zeug dazu hat, einen ähnlichen Weg zu gehen wie der Italiener. A-Nationalspieler ist er bei der Èquipe Tricolore zwar noch nicht, für verschiedene Nachwuchsauswahlteams aber hat er gespielt, ist mit den jungen Les Bleus 2016 Europameister der U 19 geworden, war bei Olympia 2021 in Tokio dabei, musste mit Frankreich aber wie seinerzeit Deutschland mit den damaligen Union-Spielern Max Kruse und Cedric Teuchert nach der Gruppenphase schon nach Hause fahren.
Tousarts Vorteil ist, dass er die Bundesliga aus seiner dreijährigen Phase in Charlottenburg kennt und sie im Laufe der Zeit immer besser verstanden hat. Sein Nachteil gegenüber Bonucci, der den größten Teil der Vorbereitung zumeist individuell absolviert hat, ist jedoch, dass er in der wohl wichtigsten Zeit des Spieljahres wegen einer Muskelblessur sieben Wochen ausgefallen war. Damit fehlt es ihm erstens an Spielpraxis und zweitens an der spielerischen Integration in sein neues Umfeld.

Lucas Tousart im Training mit Christopher Trimmel und Alexander SchwolowMatthias Koch/imago
Weil bei den Eisernen gerade im zentralen und defensiven Mittelfeld durch diverse Verletzungen (neben dem Franzosen betrifft es den schon länger nicht einsatzbereiten Andras Schäfer sowie Rani Khedira, in seinen bisherigen zwei Spielzeiten in Köpenick unumschränkter und anerkannter Herrscher in diesem Raum) Lücken entstanden sind, käme Tousarts Debüt auch angesichts des Startes in die Champions League Mittwoch kommender Woche bei Real Madrid gerade noch rechtzeitig.
„Wir kriegen mit Lucas eine Alternative im Mittelfeld dazu“, sagt Fischer, „es gilt jetzt für ihn, in den Rhythmus zu kommen.“ Vielleicht, so der Trainer, müsse man Tousart auch „ins kalte Wasser werfen“, denn die Saison nimmt rasant an Fahrt auf, eine Pause gibt es erst Mitte Oktober wieder. Schließlich stehen nach dem Spiel in der Autostadt mit dem Auftakt in Europas Königsklasse und den folgenden Partien in der Bundesliga gegen Hoffenheim und bei Aufsteiger Heidenheim im September noch drei weitere Begegnungen an.
Ältester Torschütze in einem EM-Finale
Ach ja, bevor Bonucci die Altersrekorde bei den Eisernen knackt – einen ganz besonderen hält er auf europäischer Ebene bereits. Im EM-Finale 2021 im Londoner Wembleystadion gegen England erzielte er beim 2:1-Triumph an der Seite seines langjährigen Mitspielers und Freundes Giorgio Chiellini den zwischenzeitlichen 1:1-Ausgleich und ist seitdem mit 35 Jahren und 71 Tagen der älteste Torschütze in einem Europameisterschaftsendspiel. Alter schützt, diese Partie macht es besonders deutlich, vor Torheit nicht.
Kurioserweise war Christopher Trimmel, als er am 7. Mai 2022 beim damaligen 4:1 in Freiburg einen Treffer erzielte, der seitdem den eisernen Tore-Oldie-Rekord bedeutet, einen einzigen Tag älter. Da könnte, ob durch den Österreicher oder nunmehr durch den Italiener, durchaus was gehen.
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